Runway / Ausstellungstext / Peter Lindhorst

Nichts. Asphalt bloß.

Als Flaneur möchte ich mir den Fotografen Andreas Trogisch vorstellen. Sein Blick ist wach und neugierig. Ich wünschte mir, ich dürfte mich an ihn heften, um zu erleben, wie er seine Bilder und Geschichten findet. Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte es laut Walter Benjamin zum guten Ton, dass in den Pariser Passagen Flaneure Schildkröten an der Leine führten. Der Flaneur ließ sich so das Tempo vorgeben. Andreas Trogischs Schildkröte ist die Kamera, die Achtsamkeit und Abwägung einfordert. Er schlendert, lässt sich nicht überspülen von der Eile der Vorbeilaufenden. Schnell würde ich erkennen, dass er alles Pittoreske der Stadt links liegen lässt, dass ihn weder die Konsum- und Ereigniszonen interessieren noch der geschäftige Strom von Menschen, der durch die Straßen fließt. Nicht die szenische Qualität eines Moments ist es, das Anekdotische menschlichen Handelns, das ihn die Kamera zücken lässt. Immer weiter würde er sich vom Kern der Stadt entfernen. Irgendwann würde er stehen bleiben. Während ich mich einmal um die eigene Achse drehe und partout nicht begreifen will, was seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, richtet der Fotograf den Apparat auf den Boden und drückt den Auslöser. Da aber ist nichts. Nichts. Asphalt bloß.

„Asphalt“ ist der Titel eines Bandes aus der 2011 erschienenen Desiderata-Reihe von Andreas Trogisch. Darin versammeln sich verschiedene Ansichten, in denen der fotografische Blick gesenkt ist. Und wir merken sofort, dass jedes Foto mit besonderem Bedacht entstanden ist. Hier wird eine Benutzeroberfläche im urbanen Raum vorgeführt, die uns in unserer Betrachtung auf uns selbst zurückwirft. Das Leben hat sich in den toten Stein gezaubert: man sieht verblassende Markierungen, Risse im Boden wie Spinnenweben, den Abrieb von Reifen. Das, was eigentlich als belanglos erachtet wird, erhält plötzlich Bedeutung. Eine Sinnlichkeit und Vergänglichkeit tut sich in den abgebildeten Ausschnitten des Alltags auf, Trogisch erschafft seine ganz eigene Aufzeichnung der Welt.

In der daran anknüpfenden Arbeit „Runway“ schiebt er auf dem Tempelfelder Flughafen seine Kamera auf einem rollenden Stativ und scannt eine Landebahnmarkierung damit ab. Aus zahlreichen Einzelaufnahmen setzt er eine Fläche zusammen, die eine meterlange Linie beschreibt. Deren Farbe hat längst ihre Widerstandsfähigkeit verloren, der Boden zeigt Risse. In die Oberfläche hat sich Vergangenheit und Gegenwart eingeschrieben. Einst landeten hier Flugzeuge und hinterließen ihre Abdrücke. Hinzu kommen Gebrauchsspuren der Skater und Radfahrer, die später die Freifläche für sich nutzten. Andreas Trogischs Bildergebnisse erzählen davon, wie Gebrauchsprozesse oder Wettereinwirkungen das Stoffliche auflösen. Unser Betrachten wird zu einer fast spirituellen Erfahrung. In der blassen Leere ist mehr zu erkennen als in der Fülle vieler Ereignisfotos. Einmal zeigt er ein auf den Boden gemaltes Verkehrszeichen, das einst die Überquerung des Rollweges für Autos regelte. Schrundig ist der Belag, voller Risse. Dem warnenden Rot ist seine Wirkkraft ausgegangen. In einer anderen Arbeit führt er den auf einer Kreuzung platzierten Kreis vor, der helfen soll, den Verkehr besser zirkulieren zu lassen. Dieser taucht wie ein Planet aus dem Dunkel eines Asphalt-Alls. Trogisch ist ein Blickkünstler, einer, der diese Markierungen, Zeichen, Codes und Untergründe genau betrachtet und sie verwandelt in fotografische Bilder, die, auch wenn ihre Gegenstände tatsächlich darin verblassen, schön sind und leuchten.

Und während ich also dem Fotografen folge und mein Blick sich immer mehr auf den Boden haftet, kriege ich nicht mit, wie mir dieser längst enteilt. Ich bin sicher, den Flaneur verloren zu haben, als ich ihn in der Ferne wiederentdecke. Die Kamera hat er in den Himmel gerichtet. Doch dies ist der Anfang einer anderen Geschichte. (Peter Lindhorst)

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Just Asphalt.

I would like to imagine the photographer Andreas Trogisch as a flaneur. His gaze is alert and curious. I wish that I could attach myself to him to experience how he discovers his images and stories. According to Walter Benjamin, in the mid-19th century it was fashionable for flaneurs to lead turtles on leashes through Paris’ passages. This is how the flaneurs let their pace be determined. Andreas Trogisch’s turtle is his camera, which demands attention and extensive consideration. He wanders and lets himself be awash in the urgency of the people passing by. I would quickly realize that he ignores all of what is picturesque in a city; he is not interested in the consumer and event zones, nor in the busy current of people that flows through the streets. It is not the scenic quality of a moment, the anecdote of human behavior, that has him reaching for his camera. He would move further and further from the city’s core. At some point, he would stop. While I would turn around and fail to understand what is drawing his attention, the photographer would direct his apparatus to the ground and hit the release. But there is nothing there. Nothing. Just asphalt.

“Asphalt” is the title of a catalogue from the Desiderata series by Andreas Trogisch from 2011. Here, he collected various perspectives in which his photographic gaze was lowered and documented. And we realize immediately that every photo was created with special attention. The catalogue presents us with a user interface in urban space that throws us back in the observation of ourselves. Life has been conjured up in dead rock; you can see paling demarcations, tears in the ground like a spider’s web and tire tracks. The things that are usually deemed to be insignificant suddenly have meaning. A sensuality and transience appear in the depicted extracts of daily life; Trogisch creates his own unique chronicle of the world.

For the following work, “Runway”, he moved his camera along the Tempelhof Airport on a rolling tripod and scanned the landing strip demarcations. He created a surface in a conglomeration of numerous individual shots – it ends up being a meter-long line. The paint has long since lost its resilience; the ground has been torn. The past and present have been inscribed in the surface. Once upon a time, airplanes landed here and left their marks. In addition, traces were added by skaters and cyclists who use the free surface. Andreas Trogisch’s pictorial results tell us how processes of use or the weather dissolve material. Observing becomes almost a spiritual experience for us. In the pale emptiness, more than the mass of many eventful photos can be discovered. In one case, he shows us a painted traffic sign on the ground that once regulated the way cars crossed the taxiway. The surface is worn, full of cracks. The warning red has lost its effect. In a different work, he presents a circle placed on an intersection that was meant to help the traffic circulate optimally. It emerges like a planet from the dark depths of an asphalt universe. Trogisch is a gaze artist – someone who looks precisely at these marks, signs, codes and surfaces. And he transforms them into photographic images that, even though the objects actually pale in them, are beautiful and luminate.

And while I follow the photographer and my gaze keeps getting drawn to the ground, I don’t notice that he has long since escaped me. I am certain to have lost the flaneur when I then rediscover him in the distance. He has his camera directed at the sky. But that is just the beginning of a different story…
(Peter Lindhorst)

© galerie franzkowiak